Anscheinsvollmacht in der Bankfiliale

Bei der Anscheinsvollmacht kann sich der Vertretene auf den Mangel der Vertretungsmacht seines Vertreters nicht berufen, wenn er schuldhaft den Rechtsschein einer Vollmacht veranlasst hat, so dass der Geschäftsgegner nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte von einer Bevollmächtigung ausgehen darf und auch von ihr ausgegangen ist1.

Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung des Rechtsscheins (und der weiteren Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht) ist die Vornahme des Vertretergeschäfts2.

Im hier vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg entschiedenen Fall war der für die Bank handelnde Herr S. Filialleiter der Bankiliale in L. und trat den Kunden als solcher gegenüber, so dass schon aufgrund seiner Stellung der Rechtsschein erweckt wurde, er sei zu gesonderten Zusagen befugt. Zudem traf er über einen längeren Zeitraum diverse, dem vorliegenden Fall vergleichbare Absprachen mit einer Vielzahl von Kunden.

Die Bank muss sich diesen Rechtsschein auch zurechnen lassen. Das gilt nach einer neueren Entscheidung des BGH bereits deshalb, weil die Umstände, die den Rechtsschein einer ordnungsgemäßen Bevollmächtigung begründen, aus der Sphäre der Bank stammen. Aber auch nach der älteren Rechtsprechung des BGH, die eine Fahrlässigkeit erfordert, müsste hier eine Zurechnung erfolgen.

Nach einem neueren Urteil des BGH vom 09.05.20143, das die Frage betraf, ob sich eine Großhändlerin für Presseerzeugnisse das Handeln ihres (ehemaligen) Vertriebsleiters zurechnen lassen muss, der unrechtmäßig Remissionsware zu viel zu niedrigen Preisen veräußert hatte, muss sich der Geschäftsinhaber den Anschein einer Vollmacht seines Angestellten zurechnen lassen, den er selbst hervorgerufen hat, weil er aus der Sphäre seines Unternehmens stammt4. Dabei soll von den Instanzgerichten nach Ansicht des BGH einem Vorbringen des Geschäftsinhabers, wonach der Vertreter geschickt die internen Kontrollen umgangen habe und allein deswegen die getätigten Geschäfte der Geschäftsführung unbekannt geblieben seien, nicht nachgegangen werden, weil der Geschäftsinhaber den Rechtsschein ordnungsgemäßer Vollmacht in jedem Fall nicht unverschuldet veranlasst hätte. Diese Verteilung der Risiken beruhe darauf, dass der kaufmännische Verkehr Rechtssicherheit sowie einfache und klare Verhältnisse erfordere und dass es dem Geschäftspartner nicht zugemutet werden könne, über die Ermächtigung des für den Geschäftsinhaber Auftretenden genaue Ermittlungen anzustellen, solange er nach dem äußeren Anschein anzunehmen berechtigt sei, dass der Geschäftsinhaber das Verhalten des in seinem Namen handelnden Angestellten billigt5.

Diese Erwägungen des BGH führen auch im vorliegenden Fall dazu, dass sich die Bank das Vertreterhandeln des Herrn S. zurechnen lassen muss. Die Bank hat den Anschein einer Bevollmächtigung des Herrn S. selbst hervorgerufen, indem sie diesen als Filialleiter des Finanzcenters L. hat auftreten lassen. Dies gilt unabhängig davon, dass Herr S. Angestellter der P…bank Filialvertrieb AG war. Die Geschäfte, die er ausgeführt hat, waren von außen betrachtet als normale Bankgeschäfte anzusehen. Dazu gehört auch die Gewährung von Sonderkonditionen, denn es ist im Geschäftsverkehr zwischen Kunden und Banken durchaus üblich, dass Konditionen verschiedener Bankgeschäfte (Kreditzinsen, Guthabenzinsen bei höheren Anlagebeträgen, Ausgabeaufschläge im Anlagegeschäft etc.) verhandelt werden. Damit stammten die Umstände, die hier den Anschein der Bevollmächtigung hervorriefen, aus der Sphäre der Bank. Diese kann daher auch nicht mit ihrem Einwand gehört werden, sie hätte das kriminelle Handeln des Herrn S. nicht erkennen können. Würde ihr dieser Einwand gestattet, wäre es doch wieder Sache des Geschäftspartners, genaue Ermittlungen über die Befugnis des für den Geschäftsinhaber Auftretenden anzustellen. Dies aber soll dem Geschäftspartner nach Ansicht des BGH gerade nicht zugemutet werden. Im hier vorliegenden Fall des Filialleiters einer Bank erscheint es auch unmittelbar einleuchtend, dass den Kunden nicht zugemutet werden kann, dessen Befugnis zum Abschluss von Bankgeschäften zu hinterfragen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang bereits die naheliegende Frage, bei wem sich die Kunden dann überhaupt erkundigen sollten. Da die dem Filialleiter nachgeordneten Mitarbeiter der Filiale hierfür ersichtlich nicht in Betracht kommen, könnten dies nur Mitarbeiter auf höheren Ebenen der Bank sein, zu denen die Kunden aber normalerweise keinen Kontakt haben. Es muss daher richtigerweise dabei bleiben, dass die Kunden auf das Wort des Leiters einer Bankfiliale vertrauen können müssen und dass der Bank das Risiko des kriminellen Handelns eines ihrer Mitarbeiter zuzurechnen ist, weil sie diesem Risiko nähersteht als der Kunde und – dessen Gutgläubigkeit vorausgesetzt – bessere Möglichkeiten als dieser hat, es zu verhindern.

Auch unter Zugrundelegung der herkömmlichen Zurechnungskriterien ist die Entstehung des Rechtsscheins einer Bevollmächtigung des Herrn S. der Bank zurechenbar. Bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte sie das Handeln des Herrn S. voraussehen und verhindern können. Das kann zwar noch nicht daraus geschlossen werden, dass der Bankkund tatsächlich Gutschriften auf seinen Konten erhielt. Denn diese dem Vertretergeschäft nachgelagerten Aspekte müssen bei der Beurteilung der Voraussetzungen der Anscheinsvollmacht unberücksichtigt bleiben. Allerdings kann auch hinsichtlich der Frage der Zurechenbarkeit des Rechtsscheins zur Bank nicht außer Betracht bleiben, dass es eine Vielzahl von vergleichbaren Fällen gab. Insofern hätte die Bank im Wege der Innenrevision Kenntnis erlangen können, dass in L. von den „Standardkonditionen“ abweichende Zinszusagen getroffen und in das Buchungssystem eingegeben wurden.

Selbst wenn diese Buchungen – wie hier im internen Buchungssystem der Bank – sämtlich als „Einzahlung“ bezeichnet gewesen wären, hätte der Bank auffallen können, dass diesen Buchungen keine tatsächlichen Einzahlungen gegenüberstanden. Selbst wenn – wie die Bank im Rahmen der Berufungserwiderung vorträgt – Herr S. Einzahlungen dadurch ermöglicht hat, dass er Gelder von den Sparkonten anderer Kunden nahm, deren Sparbücher er vorschriftswidrigerweise in der Filiale verwahrte, hindert dies eine Zurechnung ebenfalls nicht. Denn die Kontrolle gebuchter Umsätze entspringt der Organisationssphäre der Bank und bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte ihr auffallen müssen, dass es zu besonders hohen Geldanlagen in L. auch von zahlreichen dort nicht ansässigen Personen gekommen ist. Herr S. hat – wie dem Oberlandesgericht aus anderen Verfahren bekannt ist – im Jahr 2008 oder 2009 eine Ehrung von der Bank für seine überdurchschnittlichen Erfolge bei der Einwerbung von Kundengeldern erhalten. Das zeigt, dass dieser Aspekt grundsätzlich von der Bank überwacht wurde. Die Bank trägt außerdem schon nicht vor, dass für sie außerhalb der EDV keine Kontroll- und Überwachungsmöglichkeiten hinsichtlich der Mitarbeiter der von ihr mit der Beratung und Geschäftsanbahnung betrauten Tochtergesellschaft bestanden hätten. Es muss davon ausgegangen werden, dass durch eine (z.B. jährliche) Prüfung der Filiale im Rahmen einer Innenrevision schon wesentlich früher hätte festgestellt werden können, dass Postsparbücher in der Filiale verwahrt wurden und dass hiervon durch Herrn S. eigenmächtig Gelder abgebucht wurden. Zudem müssen die Buchungen über das Kassensystem der Bank erfolgt sein und hier hätte der Bank schon bei einer regulären Kassenprüfung der jeweils erheblich höhere Umfang von Buchungen zum Jahresanfang, als Herr S. die Zinszusagen durch „Einzahlungen“ erfüllte, auffallen müssen.

Der Rechtsschein der Bevollmächtigung war für das Handeln der Bankkundin auch kausal. Erforderlich ist dazu in der Regel, dass der Rechtsschein zum Zeitpunkt des Vertretergeschäfts noch vorgelegen hat und der Vertragspartner die Tatsachen kennt, aus denen sich der Rechtsschein der Bevollmächtigung ergibt6. Dabei muss der Vertragspartner nicht alle Umstände selbst kennen, sondern es genügt, wenn ihm von anderen Personen, die diese Tatsachen kennen, die allgemein bestehende Überzeugung des Vorliegens einer Bevollmächtigung mitgeteilt wird7. Die Bank hat vorliegend keine Umstände vorgetragen, wonach die Bankkundin Herrn S. zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zinszusagen nicht als aufgrund seiner Stellung als Filialleiter vertretungsbefugt angesehen hätte.

Schließlich hat die Bankkundin hinsichtlich der bis zum 30.06.2010 erfolgten Zinsgutschriften auch bewiesen, dass sie in Bezug auf die Vertretungsmacht des Herrn S. gutgläubig war.

Die subjektive Berechtigung des Vertrauens fehlt, wenn der Geschäftsgegner trotz Vorliegen des Rechtsscheintatbestandes das Fehlen der Bevollmächtigung bei der Vornahme des Rechtsscheins kennt oder kennen muss. Es gilt der auch in § 173 BGB ausgesprochene Grundsatz, dass derjenige, der Vertrauensschutz in Anspruch nehmen will, gutgläubig sein muss. Auch leichtfahrlässige Unkenntnis kann hier schaden. Keinesfalls wird der Leichtgläubige geschützt, der vor einem evidenten Mangel der Vollmacht die Augen verschlossen hat. Andererseits besteht keine allgemeine Prüfungsobliegenheit. Vielmehr müssen besondere Umstände vorliegen, die Anlass zu Misstrauen und erhöhter Vorsicht geben. Bestehen Zweifel, muss sich der Geschäftsgegner bei dem Vertretenen erkundigen. Es kommt darauf an, ob einem vernünftigen Menschen in der Lage des Geschäftsgegners der Mangel der Vollmacht nicht verborgen geblieben wäre oder ob ihm doch Zweifel an ihrem Bestehen oder ihrem Umfang gekommen wären8.

Vorliegend war das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg unter Würdigung der relevanten Indizien davon überzeugt, dass die Bankkundin zum Zeitpunkt der im Jahre 2009 getroffenen Verabredungen der Zinskonditionen für das Sparkonto einen etwaigen Mangel der Vertretungsmacht des Herrn S. nicht kannte und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sie solche in Folge von Fahrlässigkeit nicht kannte. Zunächst ist zu berücksichtigen, dass die Zinszusage von dem Filialleiter einer Filiale einer seriösen deutschen Großbank erteilt worden war, demgegenüber die Bankkundin grundsätzlich keinerlei Misstrauen entgegenbringen musste.

Die Bankkundin, die selbst in L. wohnt, hat bei ihrer Befragung im Übrigen glaubhaft geschildert, wie sie darüber, dass sie die Verwaltung der Konten ihrer Eltern übernommen hatte, zum P…bank Finanzcenter L. gekommen sei und sich aufgrund des freundlichen und bemühten Verhaltens des Filialleiters S. entschlossen habe, mit einem Teil ihres Geldes von der O.L…bank zur P…bank zu wechseln. Sie hat nachvollziehbar begründet, warum ihr das gute Zinsangebot nicht ungewöhnlich vorgekommen sei, nämlich weil ihr von der O.L…bank ein Angebot gemacht worden sei, dass nicht deutlich unter dem der P…bank gelegen habe. Im Vergleich zu dem ausweislich des von ihr beim Landgericht als Anlage zu Protokoll gereichten Kundenspiegels von der O.L…bank für Tagesgelder und Festgelder gewährten Zinssatzes von 4, 55% war der anfänglich von Herrn S. zugesagte Zinssatz in Höhe von 4, 75% und 5 % auch nicht so ungewöhnlich hoch, dass er außerhalb des marktüblichen lag.

Schließlich musste auch der Umstand, dass die Annahme der Kontoeröffnungsanträge von der Niederlassung der Bank in H. ohne die schriftliche Erwähnung von Sonderkonditionen an die Bankkundin gesandt wurde, die Bankkundin nicht bösgläubig machen. Zwar verweist der Eröffnungsantrag auf die AGB der Bank, die hinsichtlich der Zinshöhe wiederum auf Preisaushänge etc. verweisen. Nach der gesetzlichen Regelung des § 305b BGB gehen etwaige Individualvereinbarungen AGB indes vor. Ferner geht Ziff. 12 der allgemeinen AGB der Bank nter dem Regelungspunkt „Zinsen und Entgelte im Privatkundengeschäft“ auf mögliche „abweichende Vereinbarungen“ ein. Insgesamt kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass die Bankkundin fahrlässig verkannt hätte, dass Individualvereinbarungen mit der Bank bezüglich der Zinshöhe nicht vorkommen könnten. Einen solchen zwingenden Schluss ermöglicht das ihr vermeintlich ausgehändigte Konvolut diverser Bedingungen gerade nicht.

Der Bankkundin steht danach aufgrund der wirksamen Zinszusagen des Herrn S. ein Anspruch auf Zahlung der auf den Sparkonten insgesamt gutgeschriebenen und von der Bank später ausgebuchten Sonderzinsen zu.

Ab Erhalt der Steuerbescheinigung für das Jahr 2009 kann allerdings icht mehr von einer Gutgläubigkeit der Bankkundin in Bezug auf die Vertretungsmacht des Filialleiters S. ausgegangen werden, denn ihr hätte auffallen müssen, dass die dort bescheinigten Zinserträge für das Jahr 2009 evident nicht mit den zugesagten und gutgeschriebenen Zinsen und Boni übereinstimmten. Diesem auffälligen Umstand hätte sich die Bankkundin nach Auffassung des Oberlandesgerichts nicht verschließen dürfen und sie hätte dies zum Anlass nehmen müssen, bei der P…bank-Zentrale nachzufragen. Dabei erscheint es dem Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg schwer vorstellbar, dass die Bankkundin die Steuerbescheinigungen gar nicht zur Kenntnis genommen haben und einfach nur an ihren Steuerberater weitergereicht haben will, zumal sie beim Unterschreiben der Steuererklärung die Richtigkeit ihrer Angaben zu bestätigen hatte. Selbst wenn dies so gewesen sein sollte, wäre ihr jedenfalls Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Die Abweichungen von dem Zugesagten waren offensichtlich zu erkennen und hätten von ihr bei gehöriger Aufmerksamkeit erkannt werden müssen. Bei Abschluss der nächsten Zinsvereinbarung für die Zeit ab 1.07.2010 kann daher nicht mehr vom Vorliegen einer Anscheinsvollmacht des Filialleiters S. ausgegangen werden.

Mit Rücksicht auf diese offensichtlichen Verdachtsmomente kommt auch eine Verpflichtung der Bank nach den Grundsätzen des § 56 HGB nicht in Betracht. Zum einen lag damit im konkreten Fall kein „gewöhnlicher“ Geschäftsvorfall mehr vor, zum anderen war der Missbrauch der Vollmacht im Sinne des § 56 HGB evident.

Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Urteil vom 19. August 2015 – 13 U 131/14

  1. BGH, Urteil vom 09.05.2014 – V ZR 305/12; Urteil vom 05.03.1998 – III ZR 183/96, NJW 1998, 1854, 1855[]
  2. vgl. BGH NJW 2004, 2745, 2747; Schramm, a.a.O., Rn. 72[]
  3. BGH, Urteil vom 09.05.2014 – V ZR 305/12[]
  4. BGH, a.a.O., Rn. 12-15, zitiert nach juris[]
  5. BGH, a.a.O.[]
  6. vgl. BGH NJW 2007, 987, Rn. 25; Ellenberger a.a.O. Rn. 14 m.w.N.[]
  7. BGH NJW-RR 1986, 1476, 1477; Schramm a.a.O. Rn. 66 m.w.N.[]
  8. vgl. Münch.-Komm.-Schramm, 6. Aufl., § 167 BGB, Rdnr. 70 m.w.N.[]